Magdeburg im Jahre 1989 – wie alles so war …

Breiter Weg 229A – die Wohnung

Magdeburg Karl-Marx-Str. 229A |  Wohnung

Das Zimmer ist klein. Die Möbel, ein Kleiderschrank und Teile einer Anbauwand, habe ich in dem Sammelsurium gebrauchter Stücke gefunden, das sein Dasein im Dunkel des großen Durchgangszimmers fristet. Zugedeckt vom Staub der Zeit.

Mein Schlafplatz ist eine große Federkernmatratze, die aus dem gleichen Fundus stammt und ursprünglich nur eine Übergangslösung sein sollte, doch dann nie mit einem passenden Bettgestell harmonierte um eine dauerhafte Verbindung einzugehen. Sie liegt an der Wand, direkt unter dem Fenster.
Wenn man auf dem Boden schläft hat das gewisse Vorteile. Mehr als ein paar Zentimeter tief kann man nicht fallen. Und durch die Sicht von ganz unten wirkt das Loft für Arme, dass mit vier Metern fast so hoch wie lang ist, gleich viel größer.

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Der Blick aus meinem Fenster geht auf den Hinterhof und die unbewohnten Seitenhäuser, macht die Tristesse meiner Lage erst so richtig deutlich.
Abblätternde Farbe, Spinnweben, Patina auf den Scheiben. Viel Licht fällt nicht hinein. Der Himmel, ein graues Viereck. Den Luxus einer Gardine kann ich mir also sparen. Wenn ich die beigenen Wollvorhänge zuziehe, dann vor allem aus dem einen Grund: dass das Tageslicht mich beim Schlafen nicht stört.
Sa. 7. Januar 1989
An den Wochenenden bin ich allein in der riesigen Wohnung. Vor der Mittagszeit quäle ich mich selten aus den Federn. Nach einer Katzenwäsche überlege ich mir, wie die erste Mahlzeit des Tages aussehen könnte.
Im Osten Deutschlands sind McDonald’s, Döner- oder andere Imbissbuden noch weit entfernt, der „Späti“ ein Fremdwort, ebenso wie die Tanke, die späteren Generationen gelegentlich als Notlösung bei der Nahrungsbeschaffung dienen wird. Der Kühlschrank, der vor Leere gähnt und keiner weiteren Beschreibung bedarf, muß erst wieder aufgefüllt werden.
Mein Speiseplan ist daher karg. Ein paar Spiegeleier sind schnell gebraten, zusammen mit einem Kanten Brot ein leckeres Menü, das findet sich.
Das Grau des Januartages lädt nicht gerade zu ausgiebigen Spaziergängen oder Unternehmungen ein. Was also tun? Ich erinnere mich an ein Plakat. Ausstellungseröffnung im Jugendclubzentrum Hasselbachplatz. Das sind keine zweihundert Meter Fußweg.
Der innere Schweinehund meldet sich zu Wort, versperrt mir den Weg. „Was willst du denn da, du kennst dort niemanden“, kläfft die Bestie blöde grinsend mich an. „Das genau will ich ja ändern“. Seit meinem Einzug vor zwei Monaten habe ich diesbezüglich nichts getan, was an diesem Status Quo gerüttelt hätte. Ein zähes Ringen beginnt. Mein Widersacher zieht schließlich den Schwanz ein und kriescht, zu einem Pinscher mutiert, winsenlnd in seinen Zwinger zurück.
Was sonst noch an diesem Tag geschah:
Das „Neue Deutschland“ titelt: Wachsende Leistungskraft der Volkswirtschaft 1988
Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik fortgesetzt Über 658 000 Bürger bezogen eine neue Wohnung

Weltgeschehen: Im Alter von 88 Jahren starb der japanische Kaiser Hirohito (1901-1989). Sein Sohn, Kronprinz Akihito trat seine Nachfolge an

Charts: Bobby McFerrin ist mit „Don’t Worry, Be Happy“ seit 9 Wochen Platz 1

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