Als die Staatsmacht gegenüber friedlichen Demonstranten kapitulierte

Bewegende Tage im Oktober 1989

Aus den Erinnerungen eines Demonstranten, Fotografen und friedlichen Revolutionärs.
Wenn ich mir die Bilder betrachte kommen unweigerlich die Erinnerungen. Ich tauche ein, in eine längst vergangene Zeit. Ein Film, der abläuft, eine andere Wirklichkeit …
Wie aus dem Nebel tauchen Szenen und Gestalten auf. Der 7. Oktober 1989, Tag der Republik, und der letzte Feiertag, den dieses Land beging. 40 Jahre hatte es existiert und sollte nun bald Geschichte sein. Wir wussten noch nichts davon, wir die Bürger, die es letztlich in der Hand hatten, wir, die auf die Straße gingen und den Untergang der DDR herbeiführen sollten.
Nicht, weil wir dieses Land hassten oder weil wir hier weg wollten, wie vielleicht einige unserer Mitbürger. Deren Absichten und Gründe waren mit Sicherheit triftige. Wer verlässt schon gern seine Heimat?

Wir, und das war mit Sicherheit der überwiegende Teil der Menschen unseres Landes, wir wollten hier bleiben und etwas verändern.

Der 7. Oktober war normalerweise ein Volksfest. In den Abendstunden dieses Samstags kam es in Berlin, Leipzig, Magdeburg und anderen Städten des Landes zu Protesten. Dutzende Demonstranten wurden von den Sicherheitskräften zugeführt, wie es im Amtsdeutsch hieß und auf Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei verladen. Wie man später erfuhr, mussten viele von ihnen teilweise unwürdige Behandlung über sich ergehen lassen. Denn man wollte nicht zulassen, dass die Feierlichkeiten anläßlich des 40. Republikgeburtstages gestört werden, zumal hohe Staatsgäste befreundeter Staaten anwesend waren.
Anders als erwartet bekamen die DDR-Oberen von Michael Gorbatschow, Generalsekretär der KPdSU, nicht die gewünschte Rückendeckung. Vielmehr verwies dieser auf die Fehler der DDR, die es verschlafen habe, zu handeln und nötige Reformen durchzuführen. Der sinngemäß überlieferte Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ machte vielen Mut.

Der 9. Oktober 1989. Montag. In Leipzig zogen etwa 70.000 Menschen über den Innenstadtring, friedlich und von den Sicherheitskräften unbehelligt. Die größte Protestkundgebung in der Geschichte der DDR.

Magdeburg.
Wir jungen Leute trafen uns wie immer in den Kirchenräumen in der Albert-Vater-Straße. Wir spürten, dass diesmal etwas in der Luft lag. Es wurde von Verhaftungen am 7. Oktober gesprochen und dass es diesen Montag möglicherweise zu ähnlichem kommen könnte. Nicht provozieren lassen, keine Gewalt. Das war, wie an den anderen Demo-Montagen auch, die Losung. Ein Gerücht machte die Runde. Auf dem Schleinufer sollten bereits Einheiten der bewaffneten Organe, Kampfgruppen, Bereitschaftspolizei u.ä. aufgezogen sein und sich in Bereitschaft befinden. Es wurde von gepanzerten Fahrzeugen gesprochen. Es wäre gelogen, nicht zuzugeben, dass uns an diesem Abend die Angst begleitete.

Der Dom war bis in die letzte Ecke gefüllt. Man konnte fast nicht mehr treten oder stehen. Domprediger Giselher Quast verlas das Friedensgebet. Für die Freilassung der Inhaftierten vom Samstag, für einen Dialog mit Partei- und Staatsführung, für gesellschaftliche Erneuerung. Und für ein friedliches Miteinander.
Nach dem Gebet, diesmal waren schätzungsweise mehrere Tausend Menschen anwesend, marschierten wir durch die Stadt. Über den Breiten Weg, die Otto-von-Guericke-Straße, legten den Verkehr lahm. Immer wieder Sprechchöre. Reiht euch ein! Keine Gewalt!
Es blieb ruhig. Gott sei Dank!

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… wird fortgesetzt …

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