Ich kann. Ich will. Ich werde. – Gallert for Präsident?

Sachsen-Anhalt wählt

Landtagswahl Sachsen-Anhalt:
In einigen Wochen wählt Sachsen-Anhalt eine neue Landesregierung. Gelegenheit einmal nachzufragen, wie die Parteien demnächst unser Land lenken wollen, was haben wir von ihnen zu erwarten?
Wenzel Oschington sprach mit Wulf Gallert, Spitzenkandidat von Die Linke, wie er die künftige Politik für Sachsen-Anhalt sieht.

Wenzel O.
„Ohne eine funktionierende Wirtschaft geht gar nichts. Wirtschaft stärken und dabei Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen partizipieren lassen. Wenn die Menschen am Monatsende mehr in der Lohntüte haben, werden sie auch mehr ausgeben, das hält den Wirtschaftskreislauf in Gang. Wie könnte das Ihrer Meinung nach aussehen?“

Wulf Gallert:
„Die Produktivität ist in den letzten Jahren durchaus gestiegen, was die Leute in der Lohntüte aber nur zum Teil bemerkt haben. Das hängt damit zusammen, dass bei uns der Niedriglohnsektor besonders stark ausgeprägt war. Gleichzeitig ist der Bindungsgrad der Gewerkschaften relativ gering und wir haben einen sehr geringen Anteil an tarifgeschützten Arbeitsplätzen.
Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, brauchen wir keine Abwehrdiskussion gegen den Mindestlohn, sondern eine Dynamisierung. Deshalb haben wir in das Vergabegesetz hineingeschrieben, dass wir bei öffentlichen Ausschreibungen Leistungen nur noch für mindestens 10,50 Euro pro Stunde ausschreiben wollen.

Eine Stärkung von Arbeitnehmervertretungen soll dafür sorgen, dass Fördermittelanträge auch von einem Betriebsrat mit unterschrieben werden. Entsprechende Lohnsteigerungen werden wir nur durch Förderung von gewerkschaftlichen Interessensvertretungen erreichen. Das ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert.
Sachsen-Anhalts Wachstumsschwäche resultiert nicht daraus, dass wir hier weniger Fördergelder ausgeben können, als anderswo. Vielmehr weil Leute, die innovativ sind, dieses Land verlassen haben, da sie woanders eine bessere Chance für sich gesehen haben. Über wirkliches Wachstum entscheiden nicht Fabrikhallen, sondern die Menschen, die dort arbeiten und entsprechende Innovationen hervorbringen können.

Darüber hinaus hat Sachsen-Anhalt viel zu lange alle Energie darauf verwendet, Unternehmen von außen einzukaufen. Die Erfolge sind gemischt. In erster Linie haben wir es mit relativ schlecht bezahlten Arbeitsplätzen zu tun.
Aus unserer Perspektive ist es wichtig, Förderung auf die Betriebe zu konzentrieren, die hier ansässig sind. Das ist schwieriger, weil sie kleinteiliger sind, aber es lohnt sich, weil die Entscheidungsträger hier sitzen und wir die Unternehmen stärken können. Entscheidend jedoch ist, Fördermittel nicht für irgendwas auszugeben, sondern gezielt dafür, dass sich gerade auch kleinere Unternehmen mit innovativen Produkten auf den Weg machen, entweder um Marktnischen zu erobern oder um in den bestehenden Märkten stärker zu werden.“


Wenzel O.
„Ganz ohne Fremdunternehmen wird das nicht funktionieren. Wie wollen Sie Unternehmen ins Bundesland holen, damit sie sich hier ansiedeln?
Und wie kann man Unternehmen in Sachsen-Anhalt fördern, damit sie wachsen und langfristig Arbeitsplätze schaffen können?“

Wulf Gallert:
„Was wir nicht machen dürfen ist, den neuen Firmen ihre Investitionskosten ersetzen und dann noch sagen, ihr bekommst hier billige Arbeitskräfte. Das ist das, was in den vergangenen Jahren versucht wurde und dazu geführt hat, dass Sachsen-Anhalt nicht nur gegenüber der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung im Bund nur etwa ein Zehntel erreicht hat, sondern weit hinter allen anderen ostdeutschen Flächenländern liegt, die in den letzten zehn Jahren 12 bis 13 Prozent Wirtschaftswachstum erzielt haben, wogegen es in Sachsen-Anhalt nur 2,4 Prozent waren.

Wenn wir auf Firmenansiedlungen setzen, benötigen wir genug geeignetes Personal, Fachleute, die in einem solchen neuen Unternehmen arbeiten sollen. Die bekommen wir nur, wenn wir Lebensumstände garantieren, die vor allem für junge Leute und Familien so attraktiv sind, dass sie hierherkommen oder hierbleiben. Dann kommen auch die Unternehmen.“


Wenzel O.
„Seit der Wende hat Sachsen-Anhalt rund 750.000 Einwohner verloren. Diese Menschen sind nicht abgewandert, weil es ihnen hier nicht gefiel. Sie gingen, weil sie eine Perspektive suchten.
Wie wollen Sie verhindern, dass auch die Geflüchteten das Land verlassen, weil es hier an Arbeitsplätzen mangelt?
Wie wollen Sie insbesondere Geflüchtete schnell und langfristig in den Arbeitsmarkt integrieren?“

Wulf Gallert:
„Der Bevölkerungsverlust seit 1990 setzt sich aus dem Wanderungs- und dem Geburtendefizit zusammen, wobei der größere Teil aus letzterem resultiert.

Der andere Teil des Bevölkerungsverlustes kommt, weil deutlich mehr Menschen Sachsen-Anhalt verlassen haben, als ins Land gekommen sind. Grund dafür war, dass sie woanders eine bessere Perspektive sahen. Diesen Prozess müssen wir stoppen. Menschen müssen den Eindruck gewinnen, dass sie hier in Sachsen-Anhalt auch wirklich etwas entwickeln können. Das werden sie aber nicht, wenn das Land ein Billiglohnimage mit ungeschützten Arbeitsverhältnissen und unsicheren Perspektiven hat.
Flüchtlinge werden die entstandenen Lücken nicht 1:1 schließen können. Allerdings sind viele in einem Alter, in dem eine Ausbildung möglich ist.

Soziale Integration allein reicht nicht aus. Wir müssen ihnen Bildungswege eröffnen, die sie in die Lage versetzen, in absehbarer Zeit auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dann werden sie selbst Geld verdienen, als Nachfragende auf dem Arbeitsmarkt auftreten und wiederum neue Arbeitsplätze generieren.
Das erfordert große Anstrengungen und kann nur gelingen, wenn die gesamte Gesellschaft diese Chance ergreift und sich diesen Herausforderungen stellt. Das Land muss seine Anstrengungen im Bereich der Berufs- und Erwachsenenbildung deutlich verstärken, um in Übereinkunft mit den Unternehmen Perspektiven auch für die Flüchtlinge zu schaffen.“


Wenzel O.
„Menschen sollten von ihrer Arbeit leben können, ohne die Sozialsysteme in Anspruch nehmen zu müssen. Halten Sie den derzeitigen Mindestlohn für angemessen?“

Wulf Gallert:
„Der Mindestlohn ist ein erster Erfolg, aber er ist nicht in der Höhe, dass man sagen kann, die Leute werden unabhängig von den Sozialsystemen. Und er ist auch nicht das, was die volle Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Im Bereich des Mindestlohnes gibt es Unterschiede, je nachdem, ob es sich um Alleinerziehende mit Vollzeitjob handelt oder um jemand, der einen Teilzeitjob hat und noch einen arbeitslosen Partner sowie Kinder versorgen muss.
Unser Ziel ist es, mit Tariflöhnen auf ein Lohnniveau zu kommen, das deutlich über dem Mindestlohn liegt. Eine stärkere Tarifbindung erreichen wir zum Beispiel durch Betriebsräte und Gewerkschaften.“


Wenzel O.
„Sehen Sie in der derzeitigen Situation eine Gefahr, dass rechte Gruppierungen die Demokratie auf legale Weise unterwandern und was gedenken Sie gegebenenfalls dagegen zu tun?“

Wulf Gallert:
„Die Gefahr existiert, aber vor allem deshalb, weil die Demokratie insgesamt offensichtlich zu wenige Menschen motiviert, für demokratische Grundstrukturen einzutreten. Das Problem ist nicht die Stärke der rechten Gruppen, wie beispielsweise der AfD. Vor der muss man keine Angst haben.
Das eigentliche Problem ist vielmehr die Schwäche der Demokraten bzw. des politischen Systems, für die Menschen eine wirkliche Bindung zu entfalten, nicht zuletzt dadurch, dass die zunehmenden Unterschiede in Einkommen, Vermögen und Chancen in der Gesellschaft polarisieren. Das entwertet die Bindung zur Demokratie, und das ist ein grundsätzliches Problem, das wir angehen müssen.

Wer sich in prekären Lebenssituationen befindet und ein Stück weit an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde, muss nicht zwangsläufig zu rechten Gruppierungen laufen. Die Schwäche der Demokratie führt aber zu oft dazu, dass Menschen enttäuscht sind und zu dem Schluss kommen, man könne auf demokratische Verhältnisse verzichten.“


Wenzel O.
„Die Umfragezahlen sprechen eine klare Sprache. Während sich die etablierten Parteien selbst zerfleischen und regierungsunfähig scheinen, entsteht der Eindruck, dass es dem Volk egal ist, von wem es regiert wird, solange überhaupt regiert wird.
Mit welcher Partei würden Sie zusammenarbeiten und welche Ihrer Wahlziele würden Sie gegebenenfalls einem Kompromiss opfern?“

Wulf Gallert:
„Kompromisse muss man immer eingehen. Ich weiß im Übrigen nicht, ob es den Leuten wirklich egal ist, von wem sie regiert werden. Ich sehe das Problem darin, dass in den letzten Jahrzehnten eine Entpolitisierung dazu geführt hat, dass die politischen Spielräume eingeschränkt wurden.
Es wurde bewusst eine Politik verfolgt, nach der politische Entscheidungen nicht mehr in der Politik, sondern in der Wirtschaft gefällt wurden. Das kann dann zu dem Eindruck führen: Egal, wer da regiert, die können ohnehin nichts anderes machen und haben keine Spielräume. Diesen Prozess gilt es umzukehren.

Ich strebe eine rot-rot-grüne Landesregierung an, mit den Sozialdemokraten und den Grünen. Wir haben sehr viele Übereinstimmungen, zumindest wenn man das ernst nimmt, was im Wahlkampf an Positionen artikuliert wird. Das ist eine Situation, auf die man bauen kann. Ja, es wird Kompromisse geben, aber die werden Ergebnisse einer Verhandlung sein.“


Wenzel O.
„Ein Blick in die Parteienlandschaft zeigt, dass sich die Parteien in ihrer Politik kaum noch voneinander unterscheiden lassen. Brauchen wir eigentlich noch Parteien und wenn ja warum?“

Wulf Gallert:
„Ich sehe nicht, dass die Parteien sich nicht mehr voneinander unterscheiden, vielmehr gibt es große Unterschiede. In der Flüchtlingsfrage beispielsweise wird deutlich, dass sich die Politik der LINKEN von der der CDU oder der AfD massiv unterscheidet.
Wenn Politik auf kommunaler oder Landesebene relativ wenig Spielraum hat, wird den Leuten nicht mehr richtig klar, wo die Unterschiede sind.

Ich sage, die Parteien haben sich nicht überlebt, weil politische Willensbildung und Interessensvertretungen immer stattfinden werden. Die Parteien, so wie sie jetzt aufgestellt sind, haben eine geringere Bindungswirkung, doch ich sehe keine wirklichen Alternativen. Bürgerinitiativen und Volksentscheide erreichen eine Mobilisierung auf eine bestimmte Thematik hin, die sich in einen größeren Kontext einpasst. Auch hier bringen sich Parteien ausdrücklich in die Willensbildung ein.

Darum wird es auch in Zukunft Parteien geben, möglicherweise werden sie sich anders artikulieren und strukturiert sein müssen als jetzt.“


Wenzel O.
„Danke für dieses Interview.“

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