Sören Herbst (Bündnis 90/Die Grünen) zu aktuellen politischen Themen

Sachsen-Anhalt wählt

Landtagswahl Sachsen-Anhalt:
Noch vier Wochen bis zur Landtagswahl. Die rund 1,9 Millionen Wahlberechtigen in Sachsen-Anhalt sind dazu aufgerufen, am 13. März einen neuen Landtag zu wählen. Enrico Kober sprach mit dem Landtagsabgeordneten Sören Herbst (Bündnis 90/Die Grünen) über aktuelle politische Themen und  wieso er seine Partei als konservativ einstuft.

Enrico Kober:
„Herr Herbst, in gut vier Wochen sind Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Welche Themen bewegen die Menschen, mit denen Sie sprechen, am meisten?“

Sören Herbst Landtagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen
Sören Herbst:
„In der Wahrnehmung der Menschen gibt es im Moment nur ein Thema, die sogenannte Flüchtlingsproblematik. Wobei wir in Sachsen-Anhalt eigentlich gar kein Problem haben. Wir haben seit der Wende rund 750.000 Einwohner verloren und nun kamen erstmals 30.000 Menschen dazu. Stellt man beide Zahlen gegenüber, wird klar: Es ist lächerlich zu sagen, dass wir das nicht schaffen.

Unser Wahlkampfthema ist der Umwelt- und Naturschutz. Das ist grüne Kernkompetenz. Ein weiteres Stichwort ist der Elberadweg. Hier verknüpfen sich Wirtschaft und Tourismus mit dem Umwelt- und Naturschutz. Die touristischen Ziele im Land werden bisher stiefmütterlich vermarktet. Bis auf ein paar Hinweisschilder an den Autobahnen ist in den vergangenen 20 Jahren nicht viel passiert.“


Enrico Kober:
„Ministerpräsident Reiner Haseloff betont immer wieder, dass man in Sachsen-Anhalt nur 12.000 Menschen pro Jahr integrieren könne. Woher nimmt er Ihrer Meinung nach diese Zahl? Gibt es hierfür belastbare Daten, beispielsweise durch statistische Erhebungen, die seine Aussage untermauern?“

Sören Herbst:
„Ich glaube, er hat diese Zahl weitgehend aus der Luft gegriffen. Sein Erklärungsmodell beruht auf der Annahme, dass mit den zurzeit gegebenen Ressourcen, wie zum Beispiel die Anzahl der Lehrkräfte, nur eine bestimmte Anzahl Menschen integrierbar sei. Das halte ich für Quatsch. Haseloff versucht mit seiner CDU einen Kurs weiter rechts einzuschwenken, um zu verhindern, dass die CDU eine größere Anzahl Wähler an die AfD verliert.
Ich weiß nicht, was uns daran hindern soll, die Menschen, die zu uns kommen, vernünftig zu intergieren. Integration bedeutet nicht Durchalimentirung. Unser Ziel ist es, die Geflüchteten schnellstmöglich in Arbeit zu bringen und zu Steuerzahlern zu machen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie unsere Sprache lernen, eine Ausbildung beginnen oder abschließen und dann arbeiten gehen.“


Enrico Kober:
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie ebenso wie die Kanzlerin der Meinung: „Wir schaffen das.“ Was aber sagen Sie Menschen auf der Straße, die nach dem Wie fragen oder sogar sagen, dass sie das gar nicht schaffen wollen?“

Sören Herbst:
„Ich glaube an den Spruch der Kanzlerin: „Wir schaffen das“, er muss nur erklärt werden. Die Fakten sprechen dafür, dass wir Integration tatsächlich schaffen. In Sachsen-Anhalt stehen 117.000 Wohnungen leer, davon allein 10.000 in Magdeburg. Wir müssen nicht, wie Nordrhein-Westfalen, Milliarden in den sozialen Wohnungsbau stecken. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll, unsere Bevölkerung schrumpft. Wir haben die Möglichkeiten und die sollten wir nutzen.

Es gibt auch Menschen, die hardcore sagen: Wir wollen das nicht. Ich denke, Leute, die so weit gehen, dass sie sich vor die Busse stellen, die in die Asylbewerberheime fahren, sind unbelehrbar.
Ab einer gewissen Schwelle kann man mit rationalen Argumenten und mit dieser Vision, dass Deutschland und auch Sachsen-Anhalt mit mehr Einwanderung funktionieren kann, nicht mehr durchdringen. Ich versuche es natürlich trotzdem und rede mit jedem. In einer Talkrunde bei DRF1 werde ich demnächst mit Herrn Poggenburg von der AfD sprechen. Bitte, warum denn auch nicht?“


Enrico Kober:
„Wie Sie schon andeuteten, ist Arbeit ein ganz zentraler Punkt beim Thema Integration. Die Arbeitsmarktzahlen für Sachsen-Anhalt aus dem vergangenen Monat zeigen, dass rund 127.000 Arbeitssuchende nur etwa 14.900 offenen Stellen gegenüberstehen. Wenn Sie nun weitere 30.000 Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren möchten, woher sollen diese Arbeitsplätze kommen?“

Sören Herbst:
„Man muss erstmal die Frage stellen, wieso diese 14.900 Stellen nicht besetzt sind. Unternehmern, mit denen ich spreche, berichten mir, dass sie oftmals nicht einmal die Hälfte ihrer Ausbildungsplätze besetzen können. Warum? Weil sie mit einem Großteil der Bewerber nichts anzufangen können. Mit wem eine Stelle schlussendlich besetzt wird, ist mir ziemlich egal.
Ob ein Biodeutscher oder jemand aus dem Nordirak, die Stelle soll derjenige bekommen, der am besten dafür qualifiziert ist.

Wir befinden uns in einem Wettbewerb bei dem sich jeder anstrengen muss, egal, welchen Pass er in der Hand hat. Wenn mehr Menschen eine Arbeit haben, ist mehr Geld im System. Es wird mehr nachgefragt, konsumiert und investiert. Jede Stelle, die besetzt werden kann, birgt das Potential, dass weitere geschaffen werden können. So sehe ich das auch mit den 30.000 Geflüchteten.
Wir werden nicht jeden von heute auf morgen in Arbeit bringen können. Wir in Sachsen-Anhalt wissen, dass sich Arbeitslosigkeit nur langsam bekämpfen lässt. Wobei eine tröge Wirtschaftspolitik, die falsche Schwerpunkte gesetzt hat, hier sicher mit verantwortlich ist.“


Enrico Kober:
„Sachsen-Anhalt versuchte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch Subventionen Großunternehmen anzulocken. Wie sieht der Wirtschaftsstrategie der Grünen aus? Wollen auch Sie weiterhin Unternehmen von außen einkaufen oder verstärkt einheimische Unternehmen so fördern, dass diese aus sich selbst heraus wachsen und Arbeitsplätze schaffen können?“

Sören Herbst:
„Das zuletzt Erwähne ist natürlich der Kern eines gesunden und soliden Wirtschaftswachstums. Damit kleine und mittelständische Unternehmen Arbeitsplätze schaffen können, müssen die Bedingungen stimmen. Hierzu gehören beste Investitionsbedingungen, Ausbildungsprogramme, die vom Land unterstützt werden könnten, eventuell auch Steuerentlastungen. Darüber hinaus sind die Eingriffsmöglichkeiten auf der Ebene des Bundeslandes relativ begrenzt.


Wir müssen in die Nischen schauen, die uns von anderen Ländern unterscheiden und hier gezielt fördern. Elberadweg, das klingt zunächst niedlich. Er ist aber ein Wirtschaftsfaktor und kann es noch mehr werden. Die Landesregierung und die Wirtschaftsförderung haben noch nicht verstanden, dass ein Radtourist dreimal so viel Geld am Tag ausgibt wie ein Autotourist. Aus der Natur in unserem Land, der Elbe, dem Harz, der Straße der Romanik und anderen Regionen könnte man ein richtiges großes Ding machen.


Sachsen-Anhalt ist das Land der erneuerbaren Energien. Wir erzeugen mit ihnen 48 Prozent unseres Nettostromverbrauchs. 45.000 neue Arbeitsplätze konnten in diesem Bereich geschaffen werden. Hier müsste eine Landesmarketingkampagne ansetzen, an der sich dann auch die Wirtschaftspolitik ausrichtet.

Investitionen von außen sind weiterhin wichtig. Wir sollten jedoch nicht, wie dies die Landesregierung tut, darauf hoffen, dass alle zehn Jahre ein Wunder passiert und sich eine Großansiedlung ergibt.“


Enrico Kober:
„Was halten Sie denn in diesem Zusammenhang von der Forderung des Ministerpräsidenten und der IHK-Magdeburg den Mindestlohn für Geflüchtete zu senken?“

Sören Herbst:
„Der Mindestlohn ist ja gerade deshalb ein Mindestlohn, damit er nicht unterschritten wird und da mache ich ihn für bestimmte Gruppen doch nicht wieder auf. Diese Forderung ist Blödsinn. Sie hat auch nichts mit den Fähigkeiten der Menschen zu tun und streut nur Sand in die Augen der Menschen, indem sie suggeriert, die Leute könnten weniger und müssten deshalb auch weniger verdienen.“


Enrico Kober:
„Ein bundesweit relativ neues Phänomen ist die AfD, die am 13. März in Sachsen-Anhalt zur Landtagswahl antreten wird. Beobachter der Partei sind sich noch uneins.
Handelt es sich bei dieser Partei um ein Sammelbecken unzufriedener Menschen, die meinen, dass große Entscheidungen, wie beispielsweise die Eurorettung, über die Köpfe der Wähler hinweg entschieden werden? Oder ist die AfD eine Partei am rechten Rand?“

Sören Herbst:
„Die AfD ist so ein bisschen wie eine Schlange, die sich häutet und in ihrer kurzen Zeit bereits mehrere Stadien durchgemacht hat.
Schon bei Lucke fragte ich mich, was das für ein Typ ist. Heute wäre man froh, die AfD hätte Leute wie Lucke und Henkel. Ich denke, wer sich immer noch der Illusion hingibt, die AfD sei eine irgendwie europakritische, liberale politische Kraft, hat Tomaten auf den Augen.
Die AfD von heute ist eine Partei auf der Schwelle vom Rechtspopulismus zum Rechtsextremismus, die aus dem demokratischen Grundkonsens längst ausgeschert ist und die Systemfrage stellt. Wir haben es mit Leuten zu tun, die Demokratie abschaffen wollen.“


Enrico Kober:
„In der vergangen Legislaturperiode wurde massiv im Öffentlichen Dienst eingespart. Für die Zukunft verspricht die Landesregierung Neueinstellung von Lehrern und Polizisten. Können die daraus resultierenden Kosten durch Einsparungen in anderen Bereichen abgefedert werden oder ist es an der Zeit, dass das Land nun Geld in die Hand nimmt?“

Sören Herbst:
„Es ist vor allem Zeit, dass man diesen unsinnigen Gießkannensparkurs beendet. Die schwarze Null macht zum Beispiel bei der Sicherheit keinen Sinn, wo die Landesregierung plötzlich einen Personalmangel erkannt haben will. Schon vor der Polizeireform durch Innenminister Stahlknecht war klar, dass diese auf Kante genäht ist. Wir brauchen mehr Personal bei der Polizei, bei den Lehrern und in der Justiz ist es ebenso. Da reden wir aber nicht von mehreren tausend, sondern von mehreren hundert Stellen.
Sicherheit ist eine staatliche Kernaufgabe und die kostet eben. In Zeiten des sich international ausbreitenden Terrors sehen die Steuerzahler, dass dieses Geld auch sehr sinnvoll angelegt ist.

Sparen könnte man stattdessen bei Großprojekten, deren Nutzen hochumstritten ist. Wenn ich heute von Stadtfeld in die Innenstadt mit dem Auto fahre, stehe ich an einer roten Ampel. Zukünftig werde ich an einer roten Ampel in einem Tunnel stehen. Das Ganze sollte ursprünglich 30 Millionen Euro kosten. Mittlerweile geht man von über 100 Millionen Euro aus. Was hätte man mit dem Geld alles Sinvolles bewegen können!“


Enrico Kober:
„Nun gibt es neben den Grünen noch zwei weitere Parteien, die sich im linken Parteienspektrum bewegen, und so ein bisschen grün möchte mittlerweile auch jede Partei sein. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Wieso sollte jemand, der links wählen möchte, gerade den Grünen seine Stimme geben?“

Sören Herbst:
„Ich würde mich nicht als Linken bezeichnen. Die Grünen sind aus meiner Perspektive die einzige wertekonservative Partei. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und deswegen sollte man die Grünen wählen.


Wo kann ich mich denn heute noch auf christliche Grundwerte verlassen? Bei der CDU oder der CSU? Bei Herrn Seehofer, der sagt wir brauchen eine Obergrenze, weil wir uns plötzlich nicht mehr ans Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention halten?

Der Umwelt- und Naturschutz, die Bewahrung der Schöpfung, das ist für mich einer der Kernpunkte, wieso ich gerne in meiner Partei bin. Andere Parteien machen solche Grundpositionen von der politischen Stimmungslage abhängig. Mal ist die CDU stolz auf das C im Namen. Ein anderes Mal generieren sich SPD und Linke plötzlich als Umweltschutzparteien, was sie im Kern nicht sind.

Wir halten seit 35 Jahren unseren Kurs und machen dies nicht von politischen Konjunkturen abhängig. Ohne Zweifel werden Sie Grüne finden, die sich als links bezeichnen würden und auf der anderen Seite sehr konservativ denkende Menschen.
Ich schätze meine Partei aber auch für diese Vielfalt.“


Enrico Kober:
„Herr Herbst, wir bedanken uns für dieses Gespräch.“

Interview: Enrico Kober
Fotos: Wenzel Oschington

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