„Wir gehen zum Friedensgebet in den Dom“

Für gesellschaftliche Erneuerung

Als Außenminister Genscher am 30. September 1989 auf dem Balkon der Prager Botschaft die Ausreise für die über 4000 DDR-Flüchtlinge, die bereits seit Wochen unter teilweise katastrophalen Verhältnissen auf dem Botschaftsgelände kampieren, verkündet, bleibt das nicht ohne Auswirkungen.

Die Opposition um das am 9. September 1989 gegründete Neue Forum sieht ihre Chance gekommen. Gleichzeitig formiert sich aus den schützenden Räumen der Kirchen heraus der Widerstand. Es geht vor allem um die Herbeiführung einer Veränderung in der DDR.

So auch in Magdeburg, wo sich seit dem 18. September, jeweils Montag Abend, Menschen zum Friedensgebet für gesellschaftliche Erneuerung im Dom treffen. Geleitet von Pastorin Waltraut Zachhuber und Domprediger Giselher Quast. Der Beginn der Montagsdemonstrationen.

Es ist Montag, der 25. September. In den Kellerräumen in der Albert-Vater-Straße.
Wir sitzen wie immer zusammen, ein paar Punks, Jugendliche, und diskutieren über die Lage im Land. Doch an diesem Abend kommt es anders. Als jemand sagt, „Wir gehen zum Friedensgebet in den Dom“, und „Es wird eine Demo geben“, marschieren wir geschlossen los. Niemand weiß wirklich etwas genaues.

Wir kommen nicht zu spät. Jemand liest etwas vor, Gebete werden gesprochen. Wer möchte, darf seine Wünsche und Forderungen vortragen. Immer verbunden mit dem Aufruf zur Gewaltlosigkeit. Im Anschluss sammeln wir uns vor dem Dom, um dann in Richtung Innenstadt zu marschieren. Ungehindert von Polizei oder Staatssicherheit. Alles ist friedlich.

Es ist nicht wie heute. Man geht mal eben zur Demo und dann wieder nach Hause.
An einer nicht staatlich organisierten Demonstration teilzunehmen ist in dieser Zeit ein Wagnis. Im Hinterkopf sind die Ereignisse vom Platz des Himmlischen Friedens in China, auf dem die Sicherheitskräfte auf Geheiß der Staatsführung im Sommer ein Blutbad unter den Demonstranten anrichteten.

Eine Woche später. Über tausend und damit etwa doppelt so viele Menschen als am Montag zuvor, sind gekommen. Der Remter, in dem wir uns versammelt haben, reicht fast nicht mehr aus. Hans-Jochen Tschiche aus Samswegen, Mitbegründer des Neuen Forum, spricht. Es werden Flugblätter verteilt. Wer und was ist das Neue Forum? Die staatliche Presse, Sprachrohr und Organ der Einheitspartei SED, schweigt sich über die Opposition beharrlich aus.

Den Text schreibe ich anderntags in meiner Arbeitsstelle (Spezialbaukombinat Magdeburg) ab, drucke ihn aus, machte einen Aushang am Schwarzen Brett. Vorsicht ist geboten. Die Stasi ist überall, und welchem Kollegen kann man vertrauen? Staatsfeindliche Hetze, Verbreitung von Propagandamaterial, das wiegt schwer. Trotzdem!

( wird fortgesetzt )

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